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Philosophie

Schriften zur Universitätsidee

Autor*in:Karl Jaspers
Verlag:Schwabe-Verlag Basel 2016, 508 Seiten
Rezensent*in:Gerhard Danzer
Datum:13.03.2017

Karl Jaspers (1883-1969) gehört zu neben Martin Heidegger, Jean-Paul Sartre und Albert Camus zu den Schwergewichten der Existenz-Denker und -Philosophen im 20. Jahrhundert. Jaspers litt seit seiner Jugend an einer chronischen Krankheit (Bronchiektasen), mit der er außerordentlich diszipliniert umging, so dass er trotz schlechter Prognose ein sehr hohes Alter (86 Jahre) erreichte.

In seinem ersten Berufsleben war Jaspers Arzt und Psychiater. Da er sich jedoch mit seinen während der Psychiatriezeit angefertigten Texten und Büchern überaus fundiert und seriös auf philosophischem Terrain bewegte, gelang ihm schließlich der Wechsel von der Medizin zur Philosophie. Mit etwas über dreißig Jahren wurde er in Heidelberg zum außerordentlichen Professor der Philosophie ernannt – wobei der Begriff außerordentlich bei ihm nicht nur im formalen Sinne zutraf.

Die Berufung von Jaspers wurde in philosophischen Fachkreisen nicht nur goutiert – schließlich war er ein Fachfremder, der sich zwar mit seiner Allgemeinen Psychopathologie (1913) in der Medizin einen Namen gemacht hatte; ein größeres philosophisches Werk allerdings hatte der Seiteneinsteiger bis dahin nicht vorzuweisen. Dies änderte sich bald, und ab 1927 gab er seinen dreibändigen Grundriss der Philosophie heraus, der alle ehemaligen Kritiker und Nörgler hätte beschämen dürfen.

Während der Zeit des Nationalsozialismus erhielt Jaspers, der mit einer jüdisch-stämmigen Frau verheiratet war, Publikationsverbot. Da sich Pläne zur Emigration nicht verwirklichen ließen, lebte das Ehepaar zurückgezogen in Heidelberg, wobei Jaspers Zyankali beschafft hatte, um einer Deportation (zusammen mit seiner Gattin Gertrud) durch Freitod zuvorzukommen.

Mit viel Glück überstanden Jaspers und seine Frau die Wirren des Totalitarismus. 1945 war der Denker maßgeblich an der Neubegründung und Wiedereröffnung der Heidelberger Universität beteiligt. Er hatte sich vom Nachkriegsdeutschland eine vorbehaltlose Auseinandersetzung mit dessen jüngster Geschichte sowie eine entschiedene weltanschauliche Neuausrichtung hin zu Humanismus und freiheitlich-aufgeklärten Verhältnissen erhofft – eine Hoffnung, die sich aufgrund der restaurativen Tendenzen in der Bundesrepublik für ihn nicht erfüllte. Als sich 1948 die Gelegenheit ergab, in Basel einen Philosophie-Lehrstuhl zu übernehmen, zog Jaspers mit seiner Frau in die Schweiz und blieb dort bis zu seinem Tod 1969 wohnen.

Neben seinen philosophischen Schriften publizierte Jaspers immer wieder auch politische und gesellschaftsrelevante Stellungnahmen – so etwa zu Fragen von Schuld (im Hinblick auf den Holocaust), Krieg und Frieden, atomarer Bewaffnung oder ideologischer Ausrichtung der beiden deutschen Staaten. Seine diesbezüglichen Positionierungen fanden nur selten ungeteilte öffentliche Zustimmung, und bisweilen wurde er (der im Alter die schweizerische Staatsangehörigkeit angenommen hatte) sogar als Vaterlandsverräter diskreditiert.

Schon lange gab es Überlegungen, das Oeuvre dieses enorm schreibfleißigen und vielseitigen Philosophen in einer Gesamtausgabe zu bündeln und herauszugeben. Es ist dem Schwabe-Verlag in Basel sehr hoch anzurechnen, sich dieser Mammutaufgabe zusammen mit der Karl-Jaspers-Stiftung (Basel) sowie mit der Akademie der Wissenschaften (Heidelberg) angenommen zu haben. Neben den Aufsätzen und Büchern des Philosophen werden in diesem Rahmen auch seine Korrespondenz (Briefwechsel) sowie sein umfangreicher Nachlass ediert.

An dieser Stelle beziehe ich mich auf Band 21 der Gesamtausgabe, der mit Schriften zur Universitätsidee betitelt ist. Darin sind unter anderen drei Fassungen einer Abhandlung abgedruckt, die Jaspers unter der Überschrift Die Idee der Universität in den Jahren 1923, 1946 und 1961 in jeweils merklichen Überarbeitungen veröffentlicht hat. Studiert man diese Texte sowie die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, die Jaspers darin vorgenommen hatte, kann man die geistigen und gesellschaftlichen Verwerfungen nachempfinden, die sich in den vier Jahrzehnten zwischen 1923 und 1961 in Deutschland und Europa ereigneten.

Man kann sowohl dem Verlag wie auch den Herausgebern zu ihrem Unterfangen einer Gesamtausgabe des Jaspers’schen Oeuvres nur gratulieren. Die Aufmachung der Bände ist überaus gediegen und spiegelt die Seriosität ihres Inhalts wider. Einen Wermutstropfen dieser Edition gibt es allerdings auch: Die Gesamtausgabe wird wohl ausschließlich für Bibliotheken erschwinglich sein!