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Philosophie

Humanismus – Grundbegriffe

Autor*in:Hubert Cancik, Horst Groschopp & Frieder Otto Wolf (Hrsg.)
Verlag:Walter de Gruyter, Berlin 2016, 436 Seiten
Rezensent*in:Gerhard Danzer
Datum:06.01.2020

Der Begriff Humanismus leitet sich vom lateinischen Wort für Menschlichkeit ab und bedeutet eine philosophische, weltanschauliche sowie lebenspraktische Orientierung an den Werten,  Interessen und der Würde des Menschen. Die Idee wie auch der Terminus der Humanitas waren bereits den Römern der Antike bekannt. Wenn wir im 21. Jahrhundert von Humanismus sprechen, assoziieren die meisten von uns jedoch nicht die Namen von Cicero und Seneca, sondern bevorzugt diejenigen von Renaissance-Denkern und -Künstlern. Neben dem Erblühen von Kunst und Literatur zeichnete sich die Renaissance durch eine originelle Adaptation und Weiterentwicklung von philosophischen Grundgedanken der griechisch-römischen Antike aus. Pico della Mirandola, Francesco Petrarca, Giovanni Boccaccio, Marsilio Ficino, Leon Battista Alberti, Pietro Bembo, Lorenzo Valla, Giannozzo Manetti und andere, die sich in Italien als Philosophen, Künstler, Schriftgelehrte einen Namen machten, verfolgten ein vorwiegend säkulares Bildungs- und Erziehungsprogramm. Dieses unterschied sich grundlegend von christlich-kirchlich-klösterlichen Schulungsangeboten des Mittelalters und rückte die Humanitas, das Humane am Menschen, ins Zentrum seiner Lehre.

Italien als das Sehnsuchtsland aller zukünftigen Humanisten und hier besonders Florenz bildeten den Kristallisationskern des Renaissance-Humanismus. Daneben entwickelte sich diese Art des Denkens und der Bildung auch in anderen europäischen Ländern. Im deutschsprachigen Raum machten Willibald Pirckheimer, Hartmann Schedel, Sebastian Brant, Ulrich von Hutten, Philipp Melanchthon, Beatus Rhenanus, Rudolf Agricola oder Johann Reuchlin von sich reden. Und in England zählten Thomas Morus, in Frankreich Michel de Montaigne (unter bestimmten Kriterien) und in den Niederlanden vor allem Erasmus von Rotterdam zu den Humanisten.

Es dauerte bis weit ins 18. Jahrhundert hinein, bis sich in Europa neuerlich humanistisches Gedankengut bemerkbar machte. Im Zuge der Aufklärung wurden die Themen und Fragen von Bildung und Erziehung aktuell; dabei griffen Philosophen, Pädagogen, Literaten und Künstler des Siècle des Lumières auf Gedanken der Antike oder des Renaissance-Humanismus zurück und formulierten Antworten und Lösungsstrategien für solche Probleme. Der lokale Schwerpunkt dieser Bemühungen lag im deutschsprachigen Raum; zu den namhaften Vertretern dieser später als Neuhumanismus bezeichneten Bewegung zählten u.a. Johann Joachim Winckelmann, Gotthold Ephraim Lessing, Wilhelm und Alexander von Humboldt, Johann Gottfried Herder, Goethe, Schiller und Hölderlin. Die Neuhumanisten vertraten ähnlich hochgesteckte Ziele wie die Denker der Renaissance. Lessing, Herder, Wilhelm und Alexander von Humboldt, Goethe, Schiller orientierten sich an humanistisch-humanitären Idealen, die sie in Erkenntnis- und Geschichtstheorien, in künstlerische, pädagogische und ethisch-sittliche Ausgestaltungen ihres Lebens und Werks sowie in gesellschaftliche und kulturelle Konzepte einfließen lassen wollten. Goethe nahm in Iphigenie auf Tauris (1786) auf diese Gedanken der Humanität Bezug und schrieb: „Alle menschlichen Gebrechen / Sühnet reine Menschlichkeit.“ Jahrzehnte später jedoch meinte er selbstironisch zu Schiller, dieses Drama sei ihm „ganz verteufelt human“ geraten; er wollte kein Humanitätssalbader werden oder sein.

Nachhaltige Wirkung erzielten die Neuhumanisten im Hinblick auf Reformen von Bildung und Erziehung. Inspiriert von den pädagogischen Ideen Jean-Jacques Rousseaus und überzeugt von der grundsätzlichen Erziehbarkeit des Menschen entwickelten Friedrich Immanuel Niethammer und Wilhelm von Humboldt das Modell des humanistischen Gymnasiums, an dem über das Erlernen der alten Sprachen Latein und Griechisch ein Zugang zu antiken Idealen und Tugenden eröffnet und damit für Einzelne ein umfassender Bildungsprozess ihrer Person ermöglicht werden sollte.

Als eigenwillige Weiterentwicklung des Neu-Humanismus darf der existentialistische Humanismus Jean-Paul Sartres (1905-1980) gelten. Sartre war vor und während des Zweiten Weltkriegs mit Erzählungen (z.B. Der Ekel, 1938) und seinem ersten Hauptwerk Das Sein und das Nichts (1943) bekannt geworden. Nach 1945 wurden viele seiner Gedanken zur Mode-Erscheinung des Existentialismus popularisiert und banalisiert, so dass er sich veranlasst sah, in Interviews, Vorträgen und schriftlichen Statements die Seriosität seines Denkens zu betonen.Gerne und oft zitiert wird dabei Sartres Text Ist der Existentialismus ein Humanismus?(1946) – in neuerer Übersetzung wurde die Frageform der Überschrift in Der Existentialismus ist ein Humanismus (2000) verändert. Darin griff der Autor auf skeptisch-agnostische Positionen derAufklärung sowie der Ideologie- und Religionskritik zurück; in diesem Zusammenhang spricht man von einem säkularen Humanismus. Als seine Hauptvertreter gelten neben Sartre z.B. Albert Einstein, Bertrand Russell, Albert Camus, wobei diese Autoren in ihren Schriften unterschiedliche, teilweise einander auch widersprechende Akzentsetzungen einer säkular-humanistischen Welt- und Lebensanschauung vornahmen.

Im Zusammenhang mit dem Humanismus können und sollen Tendenzen nicht unerwähnt bleiben, die in den letzten Jahren im Bereich von Philosophie, Anthropologie, Künstlicher Intelligenz, Psychologie und Medizin von sich reden machten, und die unter Begriffe wie (kritischer) Posthumanismus, posthumanistischer Humanismus, Transhumanismus, Metahumanismus etc. subsumiert werden. Auf alle diese und viele weitere Begriffe und Entwicklungen des Humanismus gehen die Herausgeber und Beiträger dieses Bandes zu den Grundbegriffen des Humanismus mit stupender  Gelehrsamkeit sowie mit der nötigen Skepsis und Distanz den neuesten transhumanistischen Moden gegenüber ein. Dieser Reader kann jedem, der an Humanismus ernsthaft interessiert ist, bestens empfohlen werden.