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Philosophie

Fühlen und Form – Eine Theorie der Kunst

Autor*in:Susanne Langer
Verlag:Felix Meiner Verlag, Hamburg 2018, 692 Seiten
Rezensent*in:Gerhard Danzer
Datum:26.11.2022

Susanne Langer – wer war oder ist denn diese Frau? Auch heute noch ist es zumindest im nicht-angelsächsischen Raum beinahe die Regel, dass kaum jemand die Philosophin Susanne Langer (1895-1985) und ihr Werk kennt. Geboren wurde sie in New York als Tochter von Antonio Knauth, seines Zeichens ein deutschstämmiger  Rechtsanwalt und Großaktionär des Bankhauses Knauth, das dessen Vater mit Niederlassungen in Leipzig und New York gegründet hatte. Sowohl als Rechtsanwalt als auch als Bankier war Knauth außerordentlich erfolgreich und expansiv – die New Yorker Geschäftsräume von Antonio Knauth lagen ganz in der Nähe der Wall Street. Verheiratet war er in zweiter Ehe mit Else Magdalene Uhlich (aus Chemnitz stammend), mit der er fünf Kinder in die Welt setzte; Susanne war die Zweitgeborene.

In der Familie wurde deutsch gesprochen. Vater Knauth beherrschte auch Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch; außerdem spielte er leidenschaftlich gerne Cello und Klavier, was dazu beitrug, dass seine Tochter Susanne eine musikbegeisterte und begnadete Cellistin wurde. Zeitweise wurde sie zuhause mit Privatunterricht versehen – ansonsten besuchte sie eine französische Schule in New York. 1916 begann sie am Radcliffe College (eine Kooperationseinrichtung der Harvard University) Philosophie zu studieren (ihr Vater hatte, als er noch in Leipzig lebte, neben der Jurisprudenz ebenfalls einige Semester lang Philosophie studiert). 1921 heiratete Susanne Knauth den etwa gleichaltrigen Historiker William Langer (1896-1977), der später an der Harvard University unterrichtete. Mit ihm hatte sie zwei Söhne; die Ehe wurde Anfang der 40er Jahre geschieden, und William Langer wandte sich 1943 in seiner zweiten Ehe neuerlich einer Philosophin (Rowena Morse) zu.

1923 verbrachte Susanne Langer einen Studienaufenthalt in Wien, und ab 1924 studierte sie wieder in den USA, nun bei Alfred North Whitehead (1861-1947), von dem sie 1926 mit einer Arbeit über A Logical Analysis of Meaning promoviert wurde. Whitehead war in den 10er Jahren in Cambridge (England) mit der Publikation der dreibändigen Principia Mathematica (1910-1913) bekannt geworden, die er zusammen mit seinem Kollegen und Freund Bertrand Russell (1872-1970) ausgearbeitet hatte. Dieses Werk zählt zu den einflussreichsten Texten in der Geschichte der Mathematik und Logik. Anfang 1924 kam Whitehead für einen Forschungsaufenthalt in die USA an die Harvard University, wo er in den folgenden Jahren sein Hauptwerk Prozess und Realität – Entwurf einer Kosmologie (1929) verfassen konnte. Neben den Schriften Whiteheads assimilierte Langer damals vor allem Gedanken von Bertrand Russell, Ludwig Wittgenstein und Rudolf Carnap und wurde dadurch bevorzugt in Logik und Sprachphilosophie ausgebildet.

Von 1927 bis 1942 arbeitete Langer als Tutorin und Dozentin für Philosophie mit Schwerpunkt symbolische Logik unter anderem am Radcliffe College, an der University of Delaware sowie an der Columbia University (Manhattan, New York). Anfang der 40er Jahre lernte sie Ernst Cassirer (1874-1945) kennen, der sich aufgrund seiner jüdischen Abstammung bereits 1933 nach der Machtergreifung Hitlers zur Emigration aus Deutschland gezwungen gesehen hatte. Über England (Oxford) und Schweden (Göteborg) war er 1941 in die USA gekommen, wo er zuerst an der Yale University (New Haven) und später an der Columbia University (New York) lehrte.

Die Begegnung mit der Person und dem Denken Ernst Cassirers bedeutete für Susanne Langer eine entscheidende Veränderung ihrer philosophischen Arbeit. 1942 publizierte sie Philosophie auf neuem Wege – Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst, worin sie viele Gedanken Cassirers aus dessen Philosophie der symbolischen Formen (1923-1929) weitergedacht und fortentwickelt hat. Gewidmet ist dieses Buch noch Alfred North Whitehead („meinem großen Lehrer und Freund“); inhaltlich aber war Langer bereits bei der Bearbeitung von Symbolbereichen (Sprache; Mythos; Musik; Kunst) und damit bei kulturphilosophischen und ästhetischen Themen angelangt. Wie breit dieser Text konzipiert ist, wird auch daran ersichtlich, dass neben Cassirer und anderen Philosophen viele weitere damals aktuelle Namen und Gedanken der europäischen Kulturgeschichte (unter anderem Sigmund Freud, Kurt Goldstein sowie Vertreter der Gestaltpsychologie) Erwähnung finden.

Eine zentrale These Langers in Philosophie auf neuem Wege war die Unterscheidung in diskursive und präsentative Symbolisierungen. Die Ersteren verwenden Sprache in allen ihren Variationen (Epik, Lyrik, Dramatik, Theater- und Dichtkunst, Wissenschaft, Philosophie, Technik, Alltagssprache), indes die Letzteren auf Töne, Farben, Formen zurückgreifen, um den Emotionen (Affekte, Gefühle, Stimmungen), Empfindungen sowie dem „Unsagbaren“ zum Ausdruck zu verhelfen. Die Kunst (Malerei, Ton-Kunst, Architektur, Bildhauerei, Tanz, Fotografie) sowie einzelne Kunstwerke können damit ebenfalls als Symbole (im Sinne von Ernst Cassirer) verstanden werden: Mit ihrer Hilfe wird das Unsagbare zwar nicht sag-, aber immerhin exprimierbar.

Über viele Jahre war Philosophie auf neuem Wege das einzige Buch Susanne Langers, das in deutscher Sprache erhältlich war. Die Übersetzung aus dem Amerikanischen, die erstmals 1965 beim S. Fischer-Verlag in Frankfurt am Main erschienen ist, besorgte seinerzeit Ada Löwith, die Gattin des einige Zeit in den USA im Exil lebenden Philosophen Karl Löwith (1897-1973). Löwith hatte 1941 eine Anstellung an der Hochschule in Hartford (Connecticut) erhalten und war von 1949 bis 1952 als Dozent an der New School for Social Research in New York tätig, bevor er als Philosophie-Professor wieder zurück nach Deutschland (Heidelberg) ging. 1953 publizierte Langer Feeling and Form – A Theory of Art Developed from Philosophy in a New Key. Dieser Titel besagte bereits, dass es sich um eine Weiterentwicklung ihrer Gedanken aus Philosophie auf neuem Wege (im amerikanischen Original: Philosophy in a New Key) handelte, wobei die Autorin, ausgehend von ihren Überlegungen zu den diversen präsentativen Symbolisierungen, nunmehr eine regelrechte Theorie und Philosophie der Kunst formulieren wollte. In der hier angezeigten Übersetzung des Buches lesen wir dazu:

Kunst ist das Erschaffen von Formen, die menschliches Fühlen symbolisieren… Aus der Anordnung von Tönen oder Farben entsteht etwas, das zuvor nicht da war, und dieses, nicht das angeordnete Material, ist das Symbol des Empfindens. Das Verfertigen dieser expressiven Form ist der schöpferische Prozess, der die höchste technische Fertigkeit eines Menschen in den Dienst seines höchsten konzeptuellen Vermögens, seiner Einbildungskraft, stellt. Nicht die Erfindung neuer, origineller Wendungen noch das Aufgreifen neuer Themen verdient das Wort „schöpferisch“, sondern das Verfertigen eines für das Gefühl symbolischen Werks (S. 120f.).

Es ist das große Verdienst des Felix Meiner-Verlags in Hamburg, Feeling and Form in einer vorzüglich kommentierten Übersetzung unter dem Titel Fühlen und Form – Eine Theorie der Kunst (2018) herausgegeben zu haben. Auf über 600 Seiten kann man nunmehr auch in deutscher Sprache nachvollziehen, wie außerordentlich umfassend und kenntnisreich Susanne Langer ihre Theorie und Philosophie der Kunst mit hochfein besprochenen Beispielen aus der Literatur, der bildenden Kunst, der Architektur, dem Theater, der Musik und der Filmkunst angereichert und begründet hat. Dieser Text ist ein immenser Genuss für jeden kunstsinnigen Menschen, und so wie Langer ihre Philosophie auf neuem Wege nachvollziehbar Alfred North Whitehead gewidmet hatte, so hat sie Fühlen und Form „in Erinnerung an Ernst Cassirer“ gewidmet.

Einem Rezensenten steht das Vorrecht zu, neben einer halbwegs objektiven Darstellung eines Buch-Inhalts auch ein subjektives Urteil darüber abgeben zu dürfen: Ich bin der festen Überzeugung, dass es für jeden an Philosophie und Kunst Interessierten eine enorme Bereicherung und einen intellektuellen Hochgenuss bedeutet, Susanne Langers Fühlen und Form nicht nur zu besitzen, sondern vor allem zu lesen. Darüber hinaus gehört es zu den Rechten eines Rezensenten, sich (vom Felix Meiner-Verlag) für sich selbst wie auch für die Leserinnen etwas zu wünschen: Es wäre meiner Ansicht nach eine verlegerische Tat mit hohem kulturellem Gewinn, auch das Hauptwerk Susanne Langers Mind – An Essay on Human Feeling (in drei Bänden, 1967ff.) den deutschsprachigen Lesern zugänglich zu machen. Womöglich könnte dies mit behilflich sein, den Bekanntheitsgrad dieser exzellenten Philosophin hierzulande etwas anzuheben – verdient hat sie es allemal.