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Philosophie

Fiala - Die Geschichte einer Versuchung

Autor*in:Karl Löwith & Klaus Hölzer (Hrsg.)
Verlag:VTA Verlag, Berlin 2019, 156 Seiten
Rezensent*in:Till Kinzel
Datum:06.06.2019

Karl Löwith (1897 - 1973) gehört zu denjenigen deutschen Philosophen, die einerseits stark unter dem Einfluss Heideggers standen, sich andererseits aber auch mit einer eigenständigen Position behaupten konnten. In den letzten Jahren sind wichtige Korrespondenzen Löwiths etwa mit seinem Zeitgenossen Leo Strauss, ebenfalls Exilant, oder mit seinem akademischen Lehrer Martin Heidegger publiziert worden, die ausgesprochen aufschlussreich sind. Der zuerst 1989 veröffentlichte Lebensbericht Löwiths aus dem Exil Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933 wurde unterdessen in einer neuen Ausgabe von Frank-Rutger Hausmann herausgegeben, während schon früher Löwiths Schriften im Rahmen einer Ausgabe des Metzler-Verlages vorgelegt wurden.

Hier nun wird ein zuvor nur teilweise publiziertes Stück einer autobiographischen Selbstverständigung publiziert, das die Aufmerksamkeit eines größeren Publikums verdient. Der Herausgeber hat in dem Text eine der wichtigsten Passagen wiederhergestellt, die Löwith in seinem Manuskript gestrichen hatte. Denn der hier ausführlich dargestellte Philosoph Ansorge entspricht in Wirklichkeit Martin Heidegger, und Löwith übernahm einiges davon in seinen zweiten Lebensbericht. Die psychologisch subtile Einschätzung Heideggers, die Löwith hier bietet, ist allein schon die Lektüre wert. Dazu kommt die ausgesprochen reflektierte Selbstbetrachtung im Lichte der Erlebnisse und Empfindungen Löwiths, der stark suizidale Tendenzen hatte, die ihm auch als Offizier eine Versuchung boten. Lakonisch hält er fest: „Als Dreizehnjähriger hatte er das erste Mal an Selbstmord gedacht und infolgedessen zu philosophieren begonnen“ (S. 57). Daraus resultiert der existentielle Ernst, der mit Löwiths Philosophieren verbunden war.

Dazu kommen Lektüreerlebnisse, wie etwa Balzac, der ihm eine Verständnishilfe war, sowie die auch im Briefwechsel mit Heidegger anklingende Beziehung zu einer gleichaltrigen Frau, die hier als Agnes Schlegel auftritt, und aus deren Briefen Löwith ausgiebig zitiert. Das Problem der Freundschaft steht hier in Rede, ebenso die Frage nach dem existentiellen Kern des Lebens, die sich auch in den Briefen widerspiegelt. Denn Löwith hatte der Freundin Kierkegaards Entweder - Oder geschenkt, der nun intensiv studiert wird. Der dänische religiöse Schriftsteller spielte auch für Löwith eine nachhaltige Rolle, denn noch in seinem Hauptwerk Von Hegel zu Nietzsche nimmt Kierkegaard einen wichtigen Platz ein. Agnes schreibt nach einer Pause wieder Briefe, auch hier steht das Problem der Religion im Zentrum, etwa die Christlichkeit der Predigten Kierkegaards (S. 65), aber auch das Erlebnis eines Theologen, der im Kolleg z.B. die Bergpredigt auslegt, und bei dem es sich möglicherweise um Karl Barth gehandelt hat (auch wenn das insofern seltsam erscheint, als Agnes sich auf eine Tätigkeit als katholische Religionslehrerin vorbereitet und von Fiala/Löwith extra kleine Heiligenbildchen aus Rom bestellte, um sie an ihre Schülerinnen verteilen zu können; S. 68 - 69).

Es folgt die dramatische und spannende Schilderung der Nacht eines geplanten Suizids, an deren Ende er die vorbereitete Pistole seinem Freund reicht: „Diese Nacht hatte in Fialas Seele den Grundstein zu seinem weiteren Leben gelegt, seinem großen Nein das größere Ja entgegengerufen“ (S. 76). Bei Löwith sah dies dann so aus, dass er seine Bücher nach Hause schickte, sich auf Hauslehrerstellen bewarb und als Bürgerlicher in die Welt des mecklenburgischen Adels geriet, aber nach einem halben Jahr kündigte und nach Italien reiste, wo er auf seinen Wanderungen gen Süden „mit der Welt sein eigenes Leben erschlossen“ hat (S. 94). Rom wird dann im Nachgang zu Goethes Römischen Elegien zum Ort eines intensiven Liebesverhältnisses, von dem schließlich nur die heftigen Briefe der Geliebten in ihrem italienischen Dialekt blieben (S. 100).

Löwith/Fiala erfährt dann vom Selbstmord eines entfernten Bekannten, der ihn wiederum dazu bringt, in aphoristischer Form sich mit einer Theorie des Selbstmords zu befassen, gefolgt von Reflexionen, die sich an die Besteigung des Vesuv, die Teilnahme an einer päpstlichen Funktion und das tägliche „Erlebnis der Befreiung meines Lebens durch die Schönheit des Südens und den kindlichen Freimut seiner Bevölkerung“ anknüpfen (S. 103). Als er nach Deutschland zurückkehrt, besucht er seine Freunde in Marburg, was nicht ohne düstere Züge abgeht, wenn es heißt: „Die Menschen schienen alle mürrisch und freudlos ihren Geschäften nachzugehen. Der 'Denker' [d.h. Heidegger] saß noch wie vor Jahren an seinem Schreibtisch. Er hatte unterdessen sein zu Ende gedachtes System publiziert“ (S. 114), wobei Löwith auf Sein und Zeit anspielte. Doch endet Löwith nicht mit einer gänzlich trüben Perspektive, denn er erwähnt als lichten Punkt „in dieser trüben Welt“ das „Wiedersehen mit einer jungen Frau, welche kurz vor seiner Ankunft von der Geburt ihres ersten Kindes genesen“ war (S. 115), woraufhin er ein italienisches Gedicht in das Gästebuch einträgt, in dem das Trübe und das Heitere eng miteinander verbunden sind (S. 116).

Der Herausgeber Klaus Hölzer, der ein instruktives Nachwort beisteuert, ist Psychotherapeut und hat sich vor dem Hintergrund des Berliner Arbeitskreises für Tiefenpsychologie mit Löwith befasst, der schon für dessen Gründer Josef Rattner ein wichtiger Autor war. Rattner verband sein intensives Interesse an der Tiefenpsychologie nicht nur Alfred Adlers auch mit anthropologischen und religionskritischen Aspekten. Insbesondere Löwiths Habilitationsschrift Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen fand hier früh Beachtung, u.a. auch, weil sie als Korrektur der Auffassung Heideggers verstanden werden konnte - einmal ganz abgesehen von der späteren Parteinahme des Denkers Heidegger für den Nationalsozialismus, die auch gegen seine Philosophie misstrauisch macht.

Die schöne Publikation zeigt, dass es noch höchst aufschlußreiche „Lückenfüller“ unseres historischen Wissens zu wichtigen Denkern und ihrer Zeit gibt. So ist es rundum erfreulich, dass nun der wichtige Text von Löwith auch in Buchform ungekürzt vorliegt, der im Anhang mit Illustrationen versehen ist. Da in dem Band auch die bisher nicht veröffentliche Dissertation Löwiths bei Moritz Geiger über Nietzsche erwähnt wird, die dem Herausgeber offenbar auch vorliegt, sei hier nachdrücklich die Hoffnung ausgesprochen, dass im Nachgang zu diesem literarisch-autobiographischen Text auch diese Qualifikationsschrift als wichtiges Zeugnis der Nietzsche-Rezeption im Druck vorgelegt werden wird, die ansonsten schwer greifbar ist. Auch wenn Löwith später ein bekanntes Buch schreiben sollte, ist es doch von einigem Interesse, wie seine erste Auseinandersetzung „mit dem letzten wirklichen Denker Europas“ aussah (S. 70). Vielleicht könnte sich der Herausgeber des vorliegenden Bandes auch dieser schönen und wichtigen Aufgabe widmen.