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Philosophie

Die autoritäre Revolte - Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes

Autor*in:Volker Weiß
Verlag:Klett-Cotta, Stuttgart 2017, 304 Seiten
Rezensent*in:Bruno Heidlberger
Datum:13.06.2017

Volker Weiß, Dr. phil., wurde 1972 geboren. Er studierte Literaturwissenschaft, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie Psychologie an der Universität Hamburg. 2009 promovierte er als Historiker mit einer Monographie über den jungkonservativen Kulturtheoretiker Arthur Moeller van den Bruck. Er übte scharfe Kritik an Thilo Sarrazin und gilt als einer der besten Kenner der neurechten Szene. Volker Weiß schreibt für DIE ZEIT und ZEIT Geschichte, Jungle World, Frankfurter Rundschau, Taz, Spiegel-Online. Das Philosophie Magazin hat seine Studie Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes als »Buch des Monats« ausgezeichnet.

Im Zentrum der wissenschaftlichen Studie von Volker Weiß steht die „Europa-Ablehnung unserer Tage, nicht nur durch die Neue Rechte“: „Abendland statt Europa, Identität statt Liberalismus, Wärme statt Ökonomie“ (9). Es ist damit auch eine Streitschrift gegen reaktionären Nationalismus, Islamismus, Patriachat, Homophobie und Antirationalismus für Aufklärung, humanistischen Universalismus und für Menschenrechte. Es geht dem Autor außerdem um die Frage, wie die liberale Linke die europäische Idee und die Errungenschaften der liberalen Demokratie gegen die Angriffe der selbsternannten Gegner der Moderne verteidigen kann und welche Fehler sie dabei bisher gemacht hat.

Thema dieses Buches sind „die neuen rechten Bewegungen, die sich derzeit unter der Fahne des „Abendlandes“ in die politische Auseinandersetzung drängen und dabei ihren historischen Vorläufern, der „konservativen Revolution“, zum Verwechseln ähnlich sind“ (9). Der Autor stellt im ersten Teil seiner Studie die Entwicklung der Neuen Rechten sehr präzise und ausführlich dar. Der Leser bekommt einen äußerst differenzierten Überblick über diese Strömung, über ihre Ziele, ihre weltweite Vernetzung und ihre historischen Wurzeln, die bis in die faschistische Geisteswelt hineinragen.

Einer der Schwerpunkte des vorliegenden Buches liegt auf „den zeitgemäßen Formen des autoritären Protestes“ (10), insbesondere durch die Identitäre Bewegung (ID). „Die Rechten scheinen“, so Weiß, „von den Linken gelernt zu haben und böten sich als »neue 68er« an“ (11), die sie aber nicht seien, da die „Neue Rechte“ ihre autoritäre Revolte auch gegen die emanzipativen universalistischen Errungenschaften der 68er richteten.

Volker Weiß untersucht im zweiten Teil seines Buches die traditionellen und neurechten Vorstellungen vom „Abendland“ und die an Carl Schmitt orientierten  Bestimmungen von „Freund und Feind“. Das „Streben nach Emanzipation im Zuge der Moderne“ hat, nach Überzeugung von Weiß, „weltweit eine Gegenbewegung“ erzeugt: „Ob europäische, russische, islamische oder neuerdings auch amerikanische Wiedergeburt, die Rückkehr von Autorität und Religion in die Politik vollzieht sich überall in enormer Geschwindigkeit“ (11).

Heute finden die Begriffe und Deutungen der Neuen Rechten großen Anklang bis in die Mitte der Gesellschaft. Für den Autor war diese Entwicklung keineswegs überraschend. Die von Volker Weiß skizzierten Ereignisse zeigen, wie „längst überwunden geglaubte Inhalte aus der Nische der Neuen Rechten in die Politik zurückgekehrt sind“ (11). Er verweist auf die „Bereitschaft des bürgerlichen Konservatismus“, „sich im Krisenfall sein Glück wieder im Schoße einer völkisch definierten, autoritär gegliederten Nation zu suchen“ (12). Das „Potential des Konservativen“ lasse „die Geisteswelt der Neuen Rechten historisch wie gegenwärtig weit in faschistisches Terrain hineinragen“ (12). So zeige sich, „dass die „Neue Rechte“ in vielen Dingen eine sehr alte Rechte ist. Mit ihrem neuerlichen Aufstieg“ stehe, so Weiß, „viel auf dem Spiel“ (13).

Zu Beginn seiner Studie macht Volker Weiß auf eine „fatale Fehldeutung“ linksliberaler Kräfte, die die eigentliche Frontstellung der Neuen Rechten verneble, aufmerksam. Er klärt darüber auf, dass der Blick der Neuen Rechten auf den Islam keineswegs nur ablehnend ist. Intellektuelle wie Karlheinz Weißmann,  einer der wichtigsten »Vordenker« der Neuen Rechten und Stammautor der Jungen Freiheit, seien „selbstverständlich in der Lage, zwischen der Religion und ihrer politischen Ausbeutung zu differenzieren“ (21f). Sie seien „nicht unumwunden »islamophob«. Ihr Hauptfeind sei nicht die Lehre Mohammeds, sondern die globale Moderne (22). Der Sezession-Autor Martin Lichtmesz macht klar: „An Liberalismus gehen Völker zugrunde, nicht am Islam!“ Auch Höcke habe bereits verkündet: „Der Islam ist nicht mein Feind, unser größter Feind ist die Dekadenz“ (25).

Ein Schwerpunkt der Studie bildet das Nachdenken des Autors über die Bedeutung Armin Mohlers für die Neue Rechte. Die Schriften,des 1920 in Basel geborenen Mohler, ab September 1949 Privatsekretär Ernst Jüngers und Verehrer des NSDAP-Mitglieds und „Kronjuristen des Dritten Reiches“ Carl Schmitt, zählen, so Weiß, „zum weltanschaulichen Kanon der Neuen Rechten“. „Seine Taktik, unter der Fahne des Konservativen die Grenzen bis weit in faschistisches Gelände hinein zu verschieben“, würden „seine Epigonen bis heute“ anwenden (39f.).

Der Aufbruch der Neuen Rechten sei von einem neuen politischen Selbstverständnis begleitet, der Konzentration auf Metapolitik. In der Metapolitik ginge es darum, die „Verfügungsrechte über den konservativen Diskurs“ zurückzugewinnen. Deren Verlust, das habe gerade auch Mohler gewusst, wäre dabei „nicht den Siegen der Linken geschuldet, sondern den Reformströmungen im Konservatismus selbst“ (59). Zu diesem Zweck sei im Jahr 2000 von Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek das private Institut für Staatspolitik (IfS) gegründet worden, um das „geistige Vakuum, das in der Union herrscht“, aufzufüllen (72). Denn statt „die Schäden von 1968 ff. zu beheben“, habe sich die CDU nun selbst an die Spitze des Fortschritts gestellt (76).

Es sei nun endgültig Zeit geworden, sich „nach einer Plattform außerhalb der Union, einer deutschen FPÖ, umzusehen“ (82f). Selbst dem konservativen Journalisten Lorenz Jäger (FAZ), der die „Neue Rechte“ bislang begleitete, seien inzwischen die Töne zu schrill geworden. Er habe aufgezählt, wer inzwischen alles unter dem Label »konservativ« anzutreffen war: „sogenannte »Klimaskeptiker«, Atomkraft-Befürworter, Verächter des Sozialstaates und »am unteren Ende des Niveaus« die Islamhasser von Politically Incorrect“ (83).

Den letzten Schritt zur Revision von ’68 stelle die Bündelung der Kräfte in Form der AfD dar, die die geistige Metapolitik in reale Politik überführen soll (57). Am 6. Februar 2013 sei es dann so weit gewesen, als die Alternative für Deutschland gegründet wurde. Ihre tatsächlichen Erfolge habe sie jedoch „weniger wirtschaftspolitischen Positionen, sondern einer hemmungslosen Agitation vor allem gegen Flüchtlinge, aber auch gegen Homosexuelle und „Gutmenschen“ verdankt. Die AfD sei nicht die Neue Rechte, aber die Neue Rechte mit Einflüsterern wie Kubitschek und Weißmann spiele in ihr eine zentrale Rolle (91).

Der Historiker Weiß zeigt am Beispiel der Begriffe „Islamisierung“ und „Abendland“, wie es der Neuen Rechten mit Hilfe emotional aufgeladener Kampfbegriffe gelingt, die Affekte des Publikums zu mobilisieren. Die neurechte Abendland-Ideologie habe ihren festen Platz im „Kampf um die Begriffe“, mit dem die Junge Freiheit bereits 2001 ihr „weltanschauliches Begriffsfeld“ gegen den politischen Gegner durchzusetzen gedachte (178). Heute werde der Begriff „Abendland“ durch die Neue Rechte gänzlich seines historischen Kontextes entfremdet und in den Zusammenhang einer Europa-Ablehnung mit einer prorussischen Orientierung gestellt. Er sei von der christlichen Bedeutung vollständig gelöst, die es über Jahrhunderte bestimmt habe (180). Das Problem an diesem aus der Geschichte herausgefallenen Begriff ist auch, dass er von homogenen Kulturzusammenhängen ausgeht, die es so nicht gegeben hat und nicht gibt.  Diese können dem heutigen Pluralismus deshalb nicht gerecht werden. Absurd wird die Verteidigung des „christlichen Abendlandes“ durch die Neue Rechte, die an die Stelle der Solidarität für die in Not geratenen Menschen Nationalismus setzt. Im Übrigen ist jede Überlegenheitsrhetorik der christlichen Kultur angesichts ihrer Geschichte unangebracht.

Gegen Ende seines Essays folgt Volker Weiß Richard Gebhardts Vorschlag, den „Wahrheitskern“ der AfD genauer anzusehen (242). Zu den Punkten, die neurechte Argumente, „wahr“ machten, gehöre „eine tatsächliche Sprachlosigkeit gerade kritischer Milieus gegenüber dem fundamentalistischen Islam“. Dieses Versagen zeige sich am Beispiel des algerischen Intellektuellen Kamel Daoud (243). Der Linken habe Daoud „Naivität“ hinsichtlich des Frauenbilds islamisch geprägter Männer vorgeworfen. Stichwort „Silvesternacht 2015/16“. Er habe darauf hingewiesen, „dass es beim Asyl nicht nur darum gehe, ,Papiere‘ zu erhalten, sondern den Gesellschaftsvertrag der Moderne zu akzeptieren“. Daraufhin seien dem „in Algerien unter hohem Risiko arbeitenden Daoud in einer Erklärung französischer Intellektueller „orientalistische“ und „islamophobe“ Klischees vorgehalten worden.

Daoud fordert aber nicht, wie die Neue Rechte, die „Türen zu schließen“. Die Flüchtlinge ließen „sich nicht auf eine Minderheit von Kriminellen reduzieren“. Sie brächten aber „das Problem von „Werten“ ins Spiel, die es zu teilen, durchzusetzen, zu verteidigen und verständlich zu machen“ gelte. Daoud habe den Westen aufgefordert, „offensiv den Wertekonflikt zu wagen“. Denn Kultur sei kein „ethnisch bedingtes Schicksal, sondern ein „Prozess im stetigen Wandel“ (245). Die Linke habe, „wie der nietzscheanische Phallokrat Michel Houellebecq in seinem Roman Unterwerfung“ zeige, „in ihrem Kulturrelativismus die eigenen Werte vergessen“ (247). Eine Kritik, mit der Volker Weiß nicht alleine dasteht. Ähnlich wie Weiß argumentiert der schweizerisch-israelische Professor für Psychologie und Philosophie, Carlo Strenger.

Gegen Schluss seiner Studie stellt Volker Weiß die Frage nach der Kopplung von Aufklärung und europäischer Kultur und erteilt jedem Werterelativismus eine Absage. Er folgt auch hier Sama Maani, der diese Frage in aller Deutlichkeit beantwortet habe: „Ohne Eurozentrismus – keine Universalität“ (260). Der Autor mahnt heute Selbstverständliches nicht als ein für alle mal gegeben hinzunehmen und zu bedenken, „dass die Siege der Emanzipation immer nur vorübergehend sind, ehe sie Gefahr laufen, durch eine nicht minder dynamische Gegenbewegung überboten zu werden“ (263). Offensichtlich sei „die Feindschaft gegen den humanistischen Universalismus mittlerweile zum Dreh- und Angelpunkt der globalen „Konservativen Revolution“ auf ihrer Suche nach der Identität des „Eigenen“ geworden“ (265). Volker Weiß fordert dazu auf, „den Kampf gegen diese Entwicklung aufzunehmen“. Dazu bedürfte es einer tatsächlichen Aufklärung, die sich zudem beständig selbst zu kritisieren vermag. „Gewaltige Anstrengungen“ seien „dafür nötig“, „denn es ist kein Naturgesetz, dass die Seite der Emanzipation gewinnt“ (265).

Volker Weiß unterstreicht mit seinem Buch seinen Ruf als einer der besten Kenner der neurechten Szene. Er legt eine wissenschaftlich fundierte Schrift zur Ideengeschichte der Neuen Rechten von Armin Mohler, Henning Eichberg, Alain de Benoist über Karlheinz Weißmann und Götz Kubitscheck bis zu ihren epigonalen Nachbetern vor. Er belegt anhand umfänglichen Quellenmaterials, dass die sog. ,Neue Rechte‘ weder neu noch konservativ ist, sondern fundamental auf den völkisch-nationalistischen Denkmodellen der Zwischenkriegszeit nach 1920 aufbaut und in das faschistische Gedankengut hineinreicht.

Volker Weiß hat ein sewichtiges Buch geschrieben für all diejenigen, die hinter die Fassade des neurechten hate speech schauen und die nicht in einer völkisch autoritär strukturierten Gesellschaft leben wollen, auch für solche, die die AfD immer noch für eine konservative Partei von Patrioten halten und für alle Werterelativisten und Gegner einer islamkritischen Aufklärung, für die jede Kritik am Islam rassistisch und der Universalismus der Menschenrechte bloß eine eurozentristische, gar imperialistische neokoloniale Angelegenheit ist. Aufklärung betreibt man nicht vom moralischen Hochpodest aus, vielmehr im Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit und der Fehlbarkeit der Vernunft. Demokratie und Religionsfreiheit bilden keinen Gegensatz. Das Recht auf Religionsfreiheit schützt aber auch nicht vor Kritik an der Religion. Dennoch stimmt auch heute noch der Satz von Voltaire: „Ich mag Ihr Kopftuch nicht. Aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sich kleiden dürfen, wie Sie wollen.“