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Kunst & Literatur

Ostende 1936 - Sommer der Freundschaft

Autor*in:Volker Weidermann
Verlag:Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, 160 Seiten
Rezensent*in:Barbara Gucek
Datum:14.05.2014

Volker Weidermann, geboren 1969 in Darmstadt, studierter Politikwissenschaftler und Journalist, jetziger Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, veröffentlichte 2014 sein neues Buch Ostende: 1936 – Sommer der Freundschaft. Das im brillanten Stil verfasste Buch beeindruckt durch ein Amalgam aus gründlichen Recherchen über die im Buch vorkommenden Persönlichkeiten und romanhaft verbindenden Erzählungen.

Wie schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts übt dieser Badeort auch im Sommer 1936 auf Musiker, Schauspieler und Schriftsteller eine große Anziehungskraft aus. Hier am Meer kommen zahlreiche Schriftsteller noch einmal zusammen, die in Nazi-Deutschland und im austrofaschistischen Österreich keine Heimat mehr haben. Es sind dies die Schriftsteller und Autoren Stefan Zweig, Joseph Roth, Hermann Kesten, Egon Erwin Kisch, Willi Münzenberg, Ernst Toller, Arthur Koestler und Irmgard Keun. Am Strand in Ostende mit seiner breiten Promenade, den Cafés mit den Bistro-Tischen und den hölzernen Badehäuschen im Sand versuchen die Exilanten mit Hilfe des hypnotisierenden Anblicks des Meeres, mit Eiscreme sowie mit (reichlich) Alkohol etwas Urlaubsstimmung aufkommen zu lassen.

Im Zentrum dieses Buches stehen die Schriftstellerkollegen Stefan Zweig und Joseph Roth, die damals eine lange Freundschaft verbindet. Stefan Zweig verlässt 1934 nach der Durchsuchung seines Hauses in Salzburg seine Heimat Österreich und lässt sich ohne seine Familie in London nieder. Bekannt geworden ist er u.a. durch sein Werk Sternstunden der Menschheit. Schon 1933 sind seine Bücher von den Nationalsozialisten verbrannt worden. Das ist für ihn Grund genug, viele ausgedehnte Reisen zu unternehmen. Nach Ostende kommt er mit seiner Sekretärin Lotte Altmann, die er 1939 heiraten wird.

Auf Einladung Stefan Zweigs reist auch Joseph Roth nach Ostende. Roth ist durch seinen Roman Radetzkymarsch populär geworden. Schon länger hat Zweig seinen Freund materiell unterstützt und versucht, ihn vom Schnapstrinken abzuhalten. Roth dagegen unterstützt den Westjuden Zweig bereitwillig, wenn dieser für seine Schriften Informationen aus dem Ostjudentum benötigt. Joseph Roth bewundert Zweig schon lange, er hatte bereits 1913 versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen, was ihm aber damals nicht gelang. In Ostende wird Roth mit der deutschen Schriftstellerin Irmgard Keun bekannt, die 1936 ins Exil geht, nachdem ihre Bücher ebenfalls von den Nazis verboten wurden. Roth und Keun werden ein Paar und bleiben anderthalb Jahre zusammen. Hauptsächlich Alkohol und Arbeit scheint diese beiden Schriftsteller miteinander zu verbinden. Sie treffen sich später das letzte Mal in Paris.

Diese vielen heimatlosen Schriftsteller sitzen im Café Flore zusammen, streiten, lachen, lästern und schweigen miteinander. Am Ende des Sommers wird es ungemütlich. Die Schriftsteller-Kolonie löst sich nach und nach auf. Manche von ihnen nehmen sich später aus Verzweiflung das Leben – für sie hat Ostende keine relevante existentielle Wende zum  Besseren gebracht.