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Kunst & Literatur

Flush

Autor*in:Virginia Woolf
Verlag:S. Fischer, Frankfurt am Main 1989, 157 Seiten
Rezensent*in:Babette Kozlik-Voigt
Datum:03.01.2024

Ich hätte nie gedacht, dass mich die Erzählung über einen Cockerspaniel anrühren könnte. Aber Virginia Woolfs Flush (1933) ist eine besondere Geschichte - die „Biografie“ des berühmten Hundes von Elizabeth Barrett Browning (1806-1861), eine unterhaltsame Lektüre, amüsant und originell-raffiniert geschrieben. Genauer: Eigentlich erfährt man weniger über Hunde; denn der kleine Roman ist überaus vielschichtig. Der Spaniel Flush ist das Vehikel für die Perspektive Virginia Woolfs, die sie mit Feinfühligkeit, aber auch mit liebevoller Ironie und Sprachwitz entwickelt, um uns das Leben der englischen Dichterin Elizabeth Barrett aus dem viktorianischen 19. Jahrhundert nahezubringen. 

An Tuberkulose erkrankt liegt Elizabeth völlig zurückgezogen und vereinsamt in ihrem Schlafzimmer der elterlichen Wohnung in der Londoner Wimpole Street Nr. 50. Von ihren Angehörigen wie eine Behinderte umsorgt, wird der Cockerspaniel Flush ihr einziger treuer Gefährte. Virginia Woolf lässt uns aus Sicht dieses Hundes an den Gemütsbewegungen seiner Herrin teihaben; er wird der Tröster ihrer Tränen, ihrer Verzweiflung und Sehnsucht. 

In dieser Londoner Zeit hat Barrett Browning ein Gedicht verfasst, das die Bedeutung von Flush für seine Herrin in rührende Worte fasst. Außerordentlich feinfühlig, aber auch ironisch umschreibt Virginia Woolf die innig-vertraute Atmosphäre: Elizabeth, völlig in sich versunken, „hatte Flush ganz vergessen, und ihre Gedanken waren so traurig, dass Tränen aufs Kissen fielen. Da drängte sich plötzlich ein behaartes Gesicht an sie. Große, glänzende Augen leuchteten in die ihren, und sie fuhr auf. War es Flush, oder war es Pan? War sie nicht mehr eine Kränkelnde in der Wimpole Street, sondern eine Nymphe in einem dämmrigen Hain Arkadiens? Und drückte der bärtige Gott selbst seine Lippen auf die ihren? Für einen Augenblick war sie verwandelt; sie war eine Nymphe und Flush war Pan … Aber angenommen, Flush hätte sprechen können – hätte er am Ende nicht irgend etwas Vernünftiges über die Kartoffelkrankheit in Irland gesagt?“ 

Als kleiner, noch junger Wildfang wird Flush in das hochherrschaftliche Haus der Kränkelnden gebracht. Hier muss er zunächst mühsam lernen, am Fußende ihres Bettes zu liegen. Seiner Herrin treu ergeben verbringt er die ersten Jahre seines frühen Erwachsenen-Daseins neben ihr auf dem Sofa, um mit ihr sein Leben zu verträumen. Immerhin lernt er in dieser viktorianischen Enge strenge Disziplin, er lernt, an der Leine zu gehen und er lernt auch, dass er sich als reinrassiger Cockerspaniel nicht mit jeder Hündin einlassen sollte. Virginia Woolfs Flush ist eben ein Hund, der neben Triebhaftigkeit tiefe philosophische Gedanken in sich trägt, und der sogar die Klassenhierarchie der Hunde im Regent's Park reflektiert.

Aber Elizabeths treues Haustier muss auch die Regungen von Eifersucht ertragen. Er gerät in höchste Aufruhr, als er bemerken muss, dass er die Liebe seines Frauchens mit einem männlichen Zweibeiner teilen soll. Denn 1845 tritt Robert Browning ins Leben von Elizabeth Barrett. Die beiden verlieben sich, und die arme Hundeseele von Flush beginnt zwischen Treue, Eifersucht, Abneigung und Angst zu oszillieren. Da Elizabeths Vater strikt gegen eine Verbindung der beiden Liebenden ist, heiraten sie heimlich und entfliehen in einer abenteuerlichen Nacht-und-Nebel-Aktion nach Italien.

Der Lebensstil des Südens lässt nicht nur Flush aufblühen. Auch die Gesundheit von Elizabeth wird deutlich besser: „Statt in einem gefederten Einspänner durch die Oxford Street zu rollen, ratterten sie nun in einem offenen Wägelchen davon, an die Ufer eines Sees, und blickten auf die Berge. Und wenn sie ermüdete, rief sie nicht etwa einen Mietwagen herbei, sondern setzte sich auf einen Stein und sah den Eidechsen zu.“

Während Mrs. Browning die Freiheit in der Luft Italiens genießt, gerät Flush anfangs aus dem Gleichgewicht. Zu sehr hatte er die feine Gesellschaft Englands verinnerlicht, denn er war „gelehrt worden, sich als Aristokraten zu betrachten“. Er war ein Snob geworden, um ihn lauter Mischlinge, unter denen er sich vorkam „wie ein Prinz in der Verbannung“. Aber bald bricht auch seine Lebendigkeit wieder durch, um zu suchen, was „ihm während aller dieser Jahre versagt geblieben war“. In Florenz lernt Flush das Vagabunden-Leben der Straßenhunde kennen und er lernt, sich mit den Marktfrauen gut zu stellen, „niemand tadelte ihn für seine Eskapaden“, wenn er nächtelang in Liebesabenteuern unterwegs war.

Jedoch beginnen ihn im Frühling 1849 gefährliche Anzeichen einer Veränderung zu beunruhigen. „Irgend etwas, das fühlte er, … irgend etwas Unvermeidliches, das man aber fürchten musste, nahte heran… Nichts deutete darauf hin, dass jemand das Haus verlassen sollte – vielmehr gab es Anzeichen, dass jemand kommen würde. Voll eifersüchtiger Besorgnis betrachtete Flush prüfend alle, die das Haus betraten.“ Nach langer Zeit des beängstigenden Abwartens geschieht es dann: Plötzlich ist „Mrs. Browning zu zwei Wesen geworden. Das abscheuliche Ding neben ihr strampelte und winselte.“

Das exklusive Liebesmonopol von Flush ist erneut gefährdet: Die Brownings haben einen Sohn bekommen. Von Eifersucht zerrissen, gerät der Spaniel „für volle vierzehn Tage in tiefe Schwermut“. Schließlich fügt er sich in sein Schicksal und „entdeckt zu seiner Verwunderung, dass er die Zuneigung des Kindchens erwiderte".

Anders als in manchen ihrer tiefernst-melancholischen großen Romanen hat Virginia Woolf mit Flush eine liebenswürdig-heitere kleine Erzählung verfasst, von der sie (zu Recht!) befürchtete, sie könne populär werden.