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Rezensionen
ITGG Berlin - Rezensionen
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Konzerte & Lesungen

Joja Wendt begeistert mit seinem Mojo

Künstler*in & Interpret*in:Joja Wendt
Veranstaltungsort:Ahrenshoop
Rezensent*in:Gerhard Danzer
Datum:28.07.2023

Wie immer im Juni erlebte auch dieses Jahr (2023) der kleine Badeort Ahrenshoop an der Ostsee ein großes, mitunter begeisterndes Jazz-Festival. Entscheidend mit beigetragen zur Begeisterung des Publikums hat vor allem der Pianist Joja Wendt (geboren 1964), der am 16. Juni abends ein Solo-Konzert vor Hunderten von Zuhörern gab.

Joja Wendt - so kann man in seiner Autobiografie Spiel doch mal leiser! (2021) nachlesen - begann bereits als Knabe von vier Jahren mit dem Klavierspiel. Als junger Erwachsener war er regelmäßig in der Hamburger Musikkneipe Sperl zu hören, wo ihn Joe Cocker entdeckte und ihn daraufhin als Pianist in das Vorprogramm seiner Deutschlandtournee aufnahm, wodurch Wendt rasch bekannt wurde.

Mit 27 Jahren erlebte Wendt einen schweren Verkehrsunfall, bei dem seine linke Hand mächtig verletzt wurde, so dass man ihm von Seiten der Ärzte wenig Hoffnung machte, seine Pianistenkarriere fortsetzen zu können. Es spricht für den Charakter sowie die enorme Willensstärke und Disziplin von Joja Wendt, sich trotz dieser erschütternden Prognose und trotz eines tatsächlichen Handicaps als Pianist (der sowohl Klassik als auch Jazz meisterlich beherrschte und beherrscht) wieder zu alter Könnerschaft und darüber hinaus zu neuer Souveränität aufgeschwungen zu haben.

In Ahrenshoop stellte Wendt immer wieder sein immens breites Repertoire von Klassik über Jazz und Blues bis Boogie-Woogie unter Beweis. Das Großartige seines Konzerts bestand dabei aber nicht nur in virtuos vorgetragener Klaviermusik, sondern mindestens ebenso in seinen außerordentlich humorvollen Anekdoten über Musikstücke, Komponisten und deren Leben.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir Wendts Klavier-Adaptation eines Songs von Muddy Waters aus der Mitte des letzten Jahrhunderts: Got my Mojo working. Muddy Waters (1913-1983) war einer der bedeutendsten US-amerikanischen Blues-Musiker des 20. Jahrhunderts. Weil er als Knabe oft in einem Nebenfluss des Mississippi spielte und immer entsprechend schmutzig nach Hause kam, nannte ihn seine Großmutter immer nur Muddy Waters, also schlammiges Wasser; eigentlich hieß er McKinley Morganfield.

Im Anschluss und in Anlehnung an Muddy Waters spielte und sang auch Joja Wendt von seinem Mojo und dessen Wirkungen, und so dürfen wir uns fragen, was denn dieses Mojo bedeutet. Das Wort Mojo ist afrikanischen Ursprungs und kam mit Sklaven nach Amerika. Die Afrikaner bezeichneten einen Beutel mit bestimmten Kräutern und einem Talisman als Mojo, wobei sie diesen Beutel unter ihrer Kleidung trugen und überzeugt waren, dass Mojo ihnen Glück bringt und bösen Zauber fernhält. Die Sklaven in Amerika verschmolzen diese Bedeutung mit magischen Konzepten der Hoodoo-Religionslehre, und daraus entstand die Vorstellung, ein Mojo schütze nicht nur vor Unglück, sondern ermögliche dem Einzelnen auch eine erfolgreiche Gestaltung seines Lebens.

Ein Mojo, so bin ich überzeugt, dürfen wir jedoch nicht nur bei Menschen wie Joja Wendt und vielen anderen Künstlern und Literaten erwarten – wir finden es bisweilen auch an besonderen Orten, von denen wir meinen und spüren, dass sich an ihnen Schönes, Wertvolles und Außergewöhnliches ereignen könnte. Mancher Küstenstreifen an der Ostsee um Ahrenshoop herum und natürlich diese ehemalige Künstler-Kolonie selbst versprechen derlei – oder aber unsere Fantasien und Wünsche legen dies in die jeweiligen Situationen hinein, und wir interpretieren es als Zauberhaftes, Fantastisches, Entzückend-Bewegend-Extraordinäres dann wieder heraus.

Die Dichter der Romantik kannten derartige Funde zuhauf. So wollte etwa Joseph von Eichendorff mit seinem Gedicht Wünschelrute (1835) die verborgene Poesie der Welt und ihrer Gegenstände zum Klingen bringen: „Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort.“ Zweihundert Jahre später sind wir geneigt zu sagen, dass wir selbst es sind, die das Betörend-Magische eines Ortes oder eines Konzert-Abends wie demjenigen von Joja Wendt (mit-)schaffen, indem wir uns wertsensibel und wertschätzend diesen Situationen und Verhältnissen gegenüber verhalten. Das Erspüren von Sinn, Wert und Bedeutung darf daneben natürlich auch den Mitmenschen und uns selbst gelten – wobei Goethes Diktum volle Gültigkeit besitzt: „Willst du dich deines Wertes erfreuen, so musst der Welt du Wert verleihen.“ Auch Goethe got his mojo working.