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Rezensionen
ITGG Berlin - Rezensionen
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Ausstellungen

Zwischen Schmerz und Seligkeit

Künstler*in:Hugo van der Goes
Ausstellung:Gemäldegalerie Berlin
Rezensent*in:Matthias Voigt
Datum:02.05.2023

Mittelalterliche Malerei ist nicht jedem Kunstliebhaber zugänglich – die entsprechend geringe Besucherzahl an einem Dienstagmorgen in der Berliner Gemäldegalerie war deshalb ideal für die Begegnung mit dem Werk eines Mannes, von dem ich bisher lediglich den Namen gehört hatte. In Johan Huizingas Herbst des Mittelalters (1919) wird Hugo van der Goes (er lebte von ca. 1440 bis 1482/83) erwähnt mit dem Hinweis, dass der Genter Maler zur Hofhaltung der burgundischen Herzöge seine Beiträge leisten musste, indem er Abbildungen von Festen, Turnieren oder Seeschlachten im Kleinformat durch kunstvolles Design auszuschmücken hatte.

Das Reich der Burgunder-Herzöge umfasste zu den Zeiten des Van der Goes die jetzigen Niederlande und Flandern sowie das heutige Belgien mit seinen damals schwerreichen Städten Brügge und Gent. Insbesondere die Wollmanufakturen und die Handelshäuser hatten aus diesen mittelalterlichen Städten Zentren eines frühbürgerlichen Wohlstands gemacht, der demjenigen von Venedig und Florenz kaum nachstand. Im Süden gehörten die Bourgogne mit Dijon als Zentrum zum Besitz der burgundischen Herrscher. Dank des ausgeprägten Machtwillens seiner damaligen Herzöge wurde Burgund zum Prototypen einer Renaissance-Herrschaft, wie sie von Machiavelli 1513 in seinem Il Principe (Der Fürst) als Staatstheorie der Neuzeit beschrieben worden ist.

In der Berliner Gemäldegalerie erhält man derzeit (Frühsommer 2023) einen nachhaltigen Eindruck sowohl von den innovativ-künstlerischen Fähigkeiten eines Van der Goes als auch vom seinerzeitigen Wohlstand Burgunds und vom unbedingten Machtwillen seiner Herrscher. Beides lässt sich etwa am Monforte-Altargemälde demonstrieren, das Hugo van der Goes um 1470 (in der Zeit also, als er noch der Malergilde in Gent vorstand) angefertigt hat.

Die mittelalterliche Malkunst war hochartifiziell und folgte einem festen Codex, nach der jeder Figur allegorisch ihre Merkmale zugewiesen wurden. So musste beispielsweise ein Teufel mit Hörnern und Pferdeschwanz ausgerüstet sein, um als Personifikation des Bösen zu gelten. Das Neuartige bei Van der Goes zeigt sich nun auf seinem Gemälde darin, dass es hier weniger um die heilige Familie an der Krippe geht, um die sich die Dreikönige zur Anbetung versammelt haben, sondern um die damals noch befremdlich wirkende Eingliederung der Mächtigen ins himmlisch-irdische Geschehen von Christi Geburt.

Dem Künstler kam die Aufgabe zu, den Herrschern in ihrer Macht- und Prachtentfaltung durch seine darstellerischen Mittel einen zentralen und herausgehobenen Platz in der Weltordnung einzuräumen. Was im Mittelhochdeutschen mit dem Begriff der Mâze bezeichnet war, das jedem zugeteilte rechte Maß, war allem Anschein nach nicht allen burgundischen Herzögen präsent – was sich etwa am modisch-prunkvollen Outfit der Zentralfiguren im Gemälde ablesen lässt: Hierbei wurde durchaus kein christliches Armutsideal realisiert. Das Altarbild lässt vielmehr erkennen, wie weit die Inthronisation von Geld und Macht schon fortgeschritten war. Kostbarste Brokat-Gewänder mit kunstvollen Ornamenten sind hier quasi zur Dienstkleidung geworden, mit der die biblischen Gestalten und die weltlichen Würdenträger ausgestattet sind. Wer diese Letzteren auf dem Gemälde im Detail auch immer gewesen sein mögen – allenthalben findet sich Beiwerk, das wie die Requisiten von Mächtigen wirkt: die edle Pelzkappe am Boden, goldene Prunkgefäße und Blumen, denen vermutlich eine allegorische Bedeutung zukommt.

Auffallend sind die Unterschiede bei der Individualisierung des Gesichtsausdrucks. Während die Männergestalten in einer Weise erfasst sind, die schon unserem Anspruch an Natürlichkeit und Individualität genügen, erscheint die Darstellung der Maria noch ziemlich typisiert: Ihr himmlisch verklärter Blick demonstriert jungfräuliche Unberührtheit, und das etwas zu reif wirkende Jesuskind liegt ohne sichtbaren inneren Bezug in ihrem Schoß. Im Gegensatz dazu zeigt beispielsweise Raffaels Sixtinische Madonna (in der Dresdner Gemäldesammlung zu bewundern) schon beide Gestalten in sichtbarer Verbundenheit,

Die Seligkeit jedenfalls, von der im Untertitel der Ausstellung neben dem Schmerz die Rede ist, vermochte ich in den dargestellten Gesichtszügen der Heiligen, Mächtigen und der Engelsgestalten nicht immer zu entdecken. Was in den Gemälden als Atmosphäre vielmehr aufscheint ist eine diffuse Beunruhigung, wie sie vermutlich manchen Menschen des ausgehenden Mittelalters und der anbrechenden Renaissance zu eigen war. Womöglich waren es aber auch Anzeichen einer seelischen Befindlichkeit, die den Künstler selbst umgetrieben hat. Aus nicht bekannten Gründen nämlich entsagte Hugo van der Goes seiner erfolgreichen weltlichen Laufbahn und ging Mitte der 70er Jahre des 15. Jahrhunderts ins Kloster, wo er weiterhin seiner Mal-Leidenschaft frönte. Allerdings geriet der Maler nach wenigen Jahren in eine rätselhaft fragile Seelenverfassung und glaubte, verdammt zu sein. Er kämpfte mit Suizidgedanken und starb früh im Alter von nur 43 Jahren.

Dieses tragische Lebensende ließ mich an eine ungewöhnliche Figur in einem seiner Gemälde denken: Ein derb wirkender Hirte, der eigentlichen Geburtsszene Christi abgewandt, schaut mit frechem Grinsen über die Schulter auf das Geschehen in der Krippe zu Bethlehem. Er scheint seinen Glauben, seinen metaphysischen Halt und damit auch die lebensweltliche Ordnung etwas verloren zu haben und sich mit einem Grinsen über diesen Verlust hinwegzuretten. So wie für diesen Hirten bedeutete der Herbst des Mittelalters (Huizinga) für nicht wenige Menschen das Erlebnis eines weltanschaulichen Unbehaust-Seins, das sie mit Unsicherheit, Angst oder aber mit einem frechen Grinsen beantworteten; und diese metaphysische Obdachlosigkeit gerät oftmals selbst für uns Heutige noch zu einer Herausforderung.